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 Der einsame Cajun Teil 1

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heinrich k

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BeitragThema: Der einsame Cajun Teil 1   Der einsame Cajun Teil 1 Icon_minitimeSa Okt 18, 2008 9:09 pm

Und als zweiten Einstieg noch eine zweite Story:

Der einsame Cajun

Die Sonne senkte sich schon über die Bäume im Terrebonne Parish, als Stella den kleinen Ort Ville d’Rouge erreichte. Den gemieteten Dodge stellte sie vor dem ersten Haus ab. Ein gelbes, blinkendes Schild wies das flache Gebäude mit überdachter Terrasse als Store & Restaurant aus und ein anderer Hinweis zeigte an, dass es hier das letzte richtige Steak vor den Sümpfen geben würde.
Stella stieg aus und lies ihren Blick über die kleine Ansammlung Häuser schweifen. Groß schien Ville d’Rouge wirklich nicht zu sein, doch darauf hatte schon der Kassierer der letzten Raststätte hingewiesen.
Aus den Bäumen drangen seltsame Geräusche an Stellas Ohren und sie wunderte sich über das dichte Gewirr von Blattwerk und Geäst. Einen solch dichten Wald hatte sie noch nie gesehen und um die Stämme herum glitzerte es feucht.
Die schwüle Wärme des Tages hatte sich noch lange nicht gelegt und als die junge Frau sich mit einem Tuch die Stirn trocken wischte, entdeckte sie eine wirre Ansammlung von Insekten, die sich um die Laterne des Stores tummelten. Ein paar Meter weiter tanzte eine Wolke Mücken in der Luft.
Der Store war auf dem ersten Blick heruntergekommen und schien nicht gerade reinlich geführt, doch dann erkannte Stella, dass dieser Eindruck nur durch die veralteten Möbel hervorgerufen wurde. Die Regale waren sauber und die vier Kühltruhen sorgsam gepflegt.
„Nabend“, meldete sich eine männliche Stimme aus dem Hintergrund. „Wenn Sie vier Meilen zurück fahren, sich dann links halten und nach achtzehn Meilen wieder rechts abbiegen, kommen Sie irgendwann auf den Highway zurück.“
Stella stellte ihre Tasche ab und suchte nach dem Inhaber der Stimme.
„Ich will nicht zum Highway“, sagte sie in den Raum hinein und stellte ihre Reisetasche ab. „Jedenfalls nicht heute. Ich suche ein Zimmer.“
Ein älterer Mann in Jeans, Stiefeln und T-Shirt trat hinter einem Regal hervor. Auf seinem Kopf trug er ein verblichenes Baseballcap und in seinen Händen jonglierte er sechs Konservendosen.
„Hello“, grüßte er erneut. „Ich bin Paul Ivoir. Mir gehört dieser Laden.“
„Gibt es hier eine Pension?“, fragte Stella nachdem sie ihren Vornamen genannt hatte.
Paul stellte die Konserven auf den Tresen des Stores ab und zeigte in einen angrenzenden Raum.
„Möchten Sie zunächst einen Drink? Oder einen Kaffee?“ Er ging vor und Stella folgte ihm in einen gemütlich eingerichteten Gastraum. „Und Sie haben sich nicht verfahren, junge Lady?“
Paul verschwand hinter einer Theke und seine Besucherin setzte sich davor auf einen Hocker.
„Ville d’Rouge war schon mein Ziel. Ich nehme ein Bier.“
Die linke Braue des Ladenbesitzers zog sich nach oben.
„Sicher ein Light, oder?“
„Nein, ein ordentliches“, grinste Stella und legte beide Arme auf der Thekenplatte ab.
Sie sah sich in dem Raum um. Fünf Tische waren vorhanden und links neben der Tür zum Store stand eine alte Jukebox. Gegenüber, fast in die Ecke des Raumes gequetscht, dominierte ein Billardtisch mit fleckigem Filz. Und über all dem drehten sich vier Deckenventilatoren.
„Was treibt Sie an unser Ende der Welt?“, fragte Paul und stellte eine Bierflasche auf die Theke. Dazu schob er eine kleine Schale mit Salzbrezeln über das polierte Holz.
„Neugier?“
„Diese zu stillen dürfte einfach sein, Miss Stella. Acht Häuser im Ort. Sechs Familien, von denen die Hälfte Beaugard heißt. Und in den Sümpfen gibt es noch drei Anwesen. Das ist alles.“
„Interessant“, meinte Stella und trank einen Schluck aus der Bierflasche. „Und wo kann man ein Zimmer bekommen?“
Der Ladenbesitzer wusch sich die Hände und warf sich dann das benutzte Handtuch über die Schulter.
„Ich habe zwei Zimmer im Anbau. Die sind nicht komfortabel und das Bad müssen Sie sich mit dem Hausherrn, also mir, und meiner Familie teilen, aber die Zimmer sind sauber und günstig. Meist beherberge ich nur privaten Besuch oder betrunkene Gäste dort.“
Stella verhinderte die erste Mückenattacke, indem sie beide Hände zusammenklatschte. Das tote Insekt wischte sie an einer Serviette ab.
Eine Frau kam aus dem Hintergrund des Stores und gesellte sich zu Paul Ivoir.
Der Wirt und Ladenbesitzer nahm sie in den Arm.
„Meine Regierung“, lächelte er. „Ingrid.“
Die Frau, sie war klein und füllig, doch schien sie vor Leben zu sprühen und zeigte ein angenehmes Lächeln, reichte ihre Hand über den Tresen.
„Hallo, ich bin Stella Bains.“
„Willkommen im letzten Nest der Welt.“
Paul zeigte auf Stella.
„Die Dame möchte bei uns übernachten. Sind die Zimmer okay?“
Seine Frau nickte.
„Virgil ist heute schon früh aufgestanden. Allerdings mit Kopfschmerzen. Aber ich habe das Bett neu bezogen und den Raum gelüftet. Es stank nach Fusel.“
„Dann werden Sie das andere Zimmer bekommen, Stella. Wir hatten gestern eine kleine Feier. Ein Dorffest will man meinen. Meine Ingrid ist zweiundvierzig geworden und da sie eine geborene Beaugard ist, war das ganze Dorf anwesend. Die meisten liegen noch im Koma, deshalb ist es hier auch so leer.“
„Gratuliere“, sagte Stella in Richtung Ingrid. „Und dieser Virgil ist dann sicher auch ein Beaugard?“
Die füllige Hausherrin lachte leise. Es war ein sympathisches Lachen. Weder gekünstelt, noch überheblich. Es war einfach und wurde von zwei strahlenden Augen begleitet.
„Nein, Virgil ist ein Lester, doch ist er mit meiner Schwester verheiratet.“
Paul, der seine Frau wieder losgelassen hatte und nun am Barschrank lehnte, zündete sich eine Pfeife an. Schnell verbreitete sich süßlicher Tabakgeruch im Raum.
„Was treibt Sie nun hierher, Stella? Ich will nicht unhöflich erscheinen, es ist nur um meine Neugier zu befriedigen.“
Die junge Frau vor dem Tresen zog eine Karte aus ihrer Hosentasche und legte sie auf den Tisch. South United Press on behalf of the Original Nature Life Magazin stand auf der laminierten Visitenkarte.
„Ich bin Journalistin und soll hier eine kurze Story recherchieren.“
Ingrid Ivoir verzog fragend ihr Gesicht.
„Über Ville d’Rouge?“
Stella schüttelte den Kopf.
„Eher über den Urwald da draußen und über Einsiedler, die es hier noch in den Wäldern geben soll. Die Nachfahren der Cajuns sozusagen.“
„Das sind wir alle hier“, stellte Paul fest und goss sich unter dem scheltenden Blick seiner Frau einen Whiskey ein. „Nachfahren der Cajuns. Sie hätten gestern Abend nur mal hier sein müssen. Die Fidel und das Akkordeon standen nicht still und es wurde getanzt, bis die Sohlen der Stiefel qualmten.“
So wie der Ladenbesitzer dort stand, konnte man eher vermuten, dass er in Schottland seine Wurzeln hatte. In der linken Hand ruhte die Pfeife und in der Rechten das Schnapsglas, während der Mann am Schrank lehnte und die Beine verschränkt hielt.
„Aber Sie sind kein Einsiedler und leben nicht in einer Hütte auf einer Insel in den Sümpfen.“
„Ha“, machte Paul. „Sie suchen also so ein Hollywoodklischee? Der einsame Cajuntrapper in den wildbewachsenen Wasseradern? In seinem Boot auf der Jagd nach Fellen und mit schmutzigen Füßen, stinkendem Körper und einer Baskenmütze auf dem Kopf?“
Die Journalistin hob ihre Bierflasche und prostete dem Wirt zu.
„Genau das suche ich und ich hörte, dass hier noch Exemplare dieses Klischees zu finden seien.“
Ingrid sah kurz ihren Mann an und dann wieder zu Stella.
„Davon gibt es hier in der Gegend nur noch ein Exemplar. Den einsamen Raoul.“
„Raoul?“
„Ingrid!“, stieß Paul hervor und zeigte dabei ein verärgertes Gesicht. „Was soll das?“
Die Wirtin zuckte mit den Schultern.
„Der alte Griesgram ist der einzige, der wirklich noch so einsam und verlassen da draußen lebt, oder?“
„Er tut keinem was und man sollte ihn in Ruhe lassen.“
Diese Worte waren mehr an Stella gerichtet als an seine Frau.
„Ich will ihm auch nichts tun. Ein paar Fotos. Ein kleines Gespräch …“
Paul stieß sich vom Schrank ab und zeigte mit dem Mundstück seiner Pfeife in den Raum.
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