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 Alte Wunden

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heinrich k

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BeitragThema: Alte Wunden   Alte Wunden Icon_minitimeMi Okt 29, 2008 9:12 pm

Alte Wunden


Konrad hielt die Blechdose mit beiden Händen und humpelte hinüber zu dem blinden Fenster.
Erich folgte ihm und lehnte sich an den Pfosten der mehrstöckigen Pritsche.
„Dort hinten liegt irgendwo Hamburg“, flüsterte Konrad. Mit zitternden Fingern trank er einen Schluck Wasser aus der Dose. „Ob die wissen, was mit uns hier draußen passiert?“
Erich zuckte mit den Schultern, doch die Dunkelheit verschluckte diese Reaktion.
„ Ich war einmal in Hamburg“, antwortete er. „Hab` dort vor dem Rathaus Flugblätter verteilt.“
„ Wann?“
„ 34 war’s. Wir sind danach wieder nach Hannover zurück.“
„ Danach?“
„ Prügel haben wir bezogen. Gejagt hat man uns. Ich konnte noch abhauen.“
„ Dafür haben sie dich jetzt!“ Konrad zog ein Stück Brot unter seinem Hemd hervor. „Schimmeliger Scheiß!“ Er legte das Brotstück in die Dose und weichte es ein. Vor vier Tagen waren ihm wieder zwei Zähne ausgefallen und die Wunden hatten sich entzündet.
Erich kratzte sich. Die Flöhe bissen ihn und die Kopfhaut war schon ganz aufgerissen.
Beide setzten sich auf den kalten Boden und drückten sich aneinander.
„ Schlaf gut“, raunte Konrad.
„ Hm.“

*

Frank stützte seinen Vater, als dieser aus dem Auto stieg und sich umsah.
„ Erkennst du es wieder?“
Sein Vater schluckte. „Ich würde hier jedes Staubkorn wieder erkennen.“ Er sah zu dem eckigen Gebäude hinüber. „Welche Ironie. Eine Haftanstalt anstelle einer Haftanstalt!“
Frank hatte das Auto unter einem Baum geparkt, direkt gegenüber des Haupteinganges der JVA.
„ Wohin willst du zuerst, Papa?“
Erich nickte in eine Richtung. „Dort hinüber. Zur Rampe!“

*

Konrad hatte immer viel Sport getrieben. Er hatte schon von Klein auf viel Wert auf seinen Körper gelegt. Sein Beruf als Schmied hatte noch dazu beigetragen. Nun stand er schwer atmend und zitternd neben Erich und die Beine schienen ihm zu versagen. Immer wieder sackte er zusammen. Der ausgelaugte und abgemagerte Körper rebellierte gegen die Torturen des Tages.
Erich stemmte sich mit den anderen Häftlingen gegen die Lore und sah seinen Freund mit ängstlichem Blick an. Seine Beine und Füße waren dick mit Lehm bedeckt und auch sein Körper schmerzte.
„Komm hoch, Konrad“, flehte er. „Wenn Franzke dich sieht, bist du der Nächste.“
Schon am Morgen war eine Leiche die große Rampe herunter gerollt, nachdem ein Schuss die Stille zerrissen hatte. Zacharias Kranzberg, ein Jude aus Breslau, hatte es nicht geschafft, diesen Tag zu überleben. Ausgelaugt von Krankheit und mangelnder Ernährung war er vor der ersten Lore des Tages auf der Spitze der Rampe zusammen gebrochen. Aufseher Otto Franzke hatte ihn erschossen und mit einem Tritt die Rampe hinunter gestoßen.
„ Es geht schon“, stöhnte Konrad und stemmte sich wieder gegen die Lore. Ein gequältes und zahnloses Lächeln strafte ihn Lügen, doch seine blutigen Hände krallten sich wieder in das Holz der Lore und seine Füße, schwach und knochig, taten zitternde Schritte zwischen die Schwellen der Schienen.

*

Frank setzte sich neben seinem Vater auf die kleine Mauer. Sein Blick heftete sich auf die riesige gemauerte Rampe, welche hinauf zu dem Tor in dem großen Backsteingebäude führte.
„ Was ist das?“
„ Dort hinauf haben wir den Lehm geschafft. Loren haben wir hinauf geschoben für die Ziegelbrennerei. Blutrote Hände und Glieder für blutrote Ziegel.“ Erich lachte kalt und traurig. „Hier starb er.“
„ Konrad?“
Erich nickte und eine Träne lief ihm langsam über die Wange.

*

Erich nahm einen Stein vom Boden auf, kratzte den Schimmel von dem Brot und reichte es Konrad. Heiß brannte die Sonne herab und die Aufseher hatten sich schattige Plätze gesucht. Konrad, Erich und die anderen saßen am Fuße der Rampe. Konrad zitterte, als er versuchte mit der wenigen Spucke sein Brot aufzuweichen.
„ Soll ich nach einem Schluck Wasser fragen?“
Konrad schüttelte den Kopf und es schien, als würde sich die Haut über seinen Wangenknochen vor Anstrengung zum Bersten spannen.

*

„Sie schleiften ihn einfach fort. Noch heute sehe ich im Traum, wie seine Hacken auf die Kopfsteine schlugen und die Füße auf und ab sprangen.“
Frank legte die Hand auf die Schulter seines Vaters, im Glauben, ihn beruhigen zu müssen.
„ Es ist schon gut, Junge.“ Er zündete sich eine Zigarette an. „Es ist lang her.“
Frank sah die Rampe empor. Seine Fantasie vermochte es nicht, sich ein Bild von dem Geschehenen zu machen.

*

Sein Zustand war schlimmer geworden. Konrad wusste es und Erich bemerkte es mit Sorge. Jorge, der ehemals stämmige Sinto, hatte die anderen an der Lore beschworen, Konrad in die Mitte zu nehmen und ihn so vor den Augen der Aufseher zu schützen. Erich hatte ihm dafür gedankt, doch Jorge hatte nur genickt.
Bis Mittag ging alles gut. Johannes und Erich hatten Konrad untergehakt und so die Lore und den Freund die Rampe hinauf geschleppt. Dann rutschte Erich aus, stemmte sich sofort wieder empor, doch Konrad war ein paar Schritte die Rampe hinunter gerutscht und liegen geblieben. Franzke war sofort zur Stelle und stand breitbeinig in seiner sauberen Uniform vor Konrad Herbst.
„Steh auf, du faules Gesocks!“ Die Hand zog die Pistole aus dem Halfter und entsicherte sie.
Konrad rührte sich nicht.
Erich sah weg, wollte nicht sehen was geschah, doch der Hall des Schusses führte ihm alles deutlich vor Augen.
„ Weiter“, brüllte Franzke.
Erich und Johannes stemmten sich mit den Schultern gegen die Lore, während die anderen Häftlinge von oben zogen.
Nur Erichs Augen konnten um seinen Freund trauern.

*

„Wollen wir weiter?“
Erich schüttelte den Kopf. „Als die Befreier kamen, waren wir lange nicht erlöst. Ich fand meine Befreiung erst später, als ich nach Hanau ging.“ Er seufzte. „Ich glaubte entbürdet von Allem zu sein, doch ich bin immer noch gefangen. Meine Seele ist noch in unsichtbaren Ketten gebunden.“ Er schluckte heftig. „Lass uns gehen.“
Frank half seinem Vater und beide gingen zurück zum Auto.
„ Du hast mir nie erzählt, weshalb ihr inhaftiert wart, Vater. Was hattet ihr gemein?“
Erich stütze sich auf dem Kofferraumdeckel des Autos ab.
„ Wir hatten keine Gemeinsamkeiten außerhalb dieser Hölle. Konrad war schwul und ich war Sozialist. Das reichte den Nazis, um uns hier nach Neuengamme zu bringen.“
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Birgit Böckli
1 Sieger des 1. Schreibwettbewerbs
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BeitragThema: Re: Alte Wunden   Alte Wunden Icon_minitimeMi Okt 29, 2008 10:07 pm

Da bin ich wieder. Hab mir jetzt auch diesen Text von dir durchgelesen. Nicht böse sein, aber das erste, was ich dachte war: Daraus hätte man einen echt guten Text machen können, aber so ist er für mich nicht wirklich gelungen. Das hin und her zwischen Gegenwart und Erinnerungen ist schwer verdaulich, da es keine Übergange gibt. Man muß sich stellenweise sehr genau konzentrieren, um zu kapieren, was was ist, gerade am Anfang, zumindest mir geht es so. Ich würde einfach kleine Übergänge schaffen, an denen der Leser erkennt, aha, das ist Rückblende. Laß den Mann irgendwas sehen und dabei in seine Erinnerung verfallen, liegt ja auch nahe in solch einer Umgebung. Der Schluß hat mich nicht überzeugt. Ich weiß nicht, ob es als Pointe gedacht war, aber spätestens ab der Mitte wußte ich, daß es sich um ein KZ handelte. Ich hätte vielleicht lieber diese Erkenntnis etwas früher eingebracht und zum Schluß irgendeinen Satz eingefügt, der das ganze ein wenig beim Leser nachhallen läßt, etwas darüber, wieso Menschen zu so etwas fähig sind, oder vielleicht etwas darüber, ob der Protagonist noch haß gegenüber seinen Peinigern empfindet. Aber wie schon erwähnt, das sind nur die Sachen, die mir so einfallen. Ich weiß ja auch gar nicht, ob du vorhast, an deinen Geschichten noch was zu verändern, ich hab halt nur gedacht, wenn du sie hier einstellst, dann möchtest du auch hören, wie sie ankommen. Also mach dir nicht so viel aus meinem Geschwätz, ich finde überall was zu meckern, das war schon immer so. Very Happy
Liebe Grüße Birgit
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